Aktualisiert 16.09.2003

Rekonstruktionsversuch der Kogge nach dem Siegel der Stadt Elbing von 1350

Horst Menzel und Werner Damann

Die Kogge war im Mittelalter das wichtigste Transportmittel zur See und der am häufigsten anzutreffende Schiffstyp auf der Nord- und Ostsee.

Das Aussehen war insofern bekannt, als dass auf vielen zeitgenössischen Illustrationen der unterschiedlichsten Art, besonders auch auf Siegeln der Hansestädte Darstellungen von Koggen zu finden sind, nur was die Konstruktion, die genaue Bauweise betraf, tappte man im Dunkeln.

Paul Heinsius schrieb 1956 hierzu das erste Standardwerk: "Das Schiff der hansischen Frühzeit", Prof. Th. Macklin baute ein erstes Rekonstruktionsmodell für das Museum für Meereskunde in Berlin und fertigte 1950 eine neue Rekonstruktionszeichnung an mit einer anderen Raumaufteilung.

1962 publizierte W. Hinderer in der Zeitschrift "Der Mechanikus" ebenfalls eine Koggenrekonstruktion und von Björn Landström erschien in seinem Buch "Das Schiff" eine perspektivische Darstellung einer Kogge.
 
In den meisten Fällen nahm man für das Aussehen als Vorbild das Siegel der Stadt Elbing von 1350, wahrscheinlich weil hier einzelne Details deutlich zu erkennen sind.

Erst als man 1962 in der Weser das Wrack einer Kogge entdeckte (nach dendrochronologischen Untersuchungen aus dem Jahre 1380), was als archäologischer Jahrhundertfund gilt, in den folgenden Jahrzehnten barg, neu aufbaute und im Ganzen konservierte, wusste man erstmals, wie eine Kogge im Original aussah und wie sie konstruiert war.

Im Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven begann W. Lahn neben dem Aufbau mit der zeichnerischen Darstellung aller Details dieses einmaligen Fundes. Auf Grund der ersten Publikationen meldeten sich in den 80er Jahren verschiedene Museum, die ein Modell einer Kogge nach den neuen Erkenntnissen haben wollten.

Hierzu gehörte das Museum Preußischer Kulturbesitz in Berlin, welches ein Modell im Maßstab 1:50 wünschte, im Aussehen ähnlich wie das Siegel von Elbing 1350. Vom DSM gab es zu dieser Zeit nur wenige Veröffentlichungen und kaum Zeichnungen oder Risse. Werner Dammann half aus. Er hatte sich intensiver mit diesem Thema beschäftigt, verfügte über bisher unveröffentlichtes Material und half mit Zeichnungen, nach denen das Modell nun nach den neuen Erkenntnissen gebaut werden konnte.

In den 90er Jahren meldete sich das Schwedenspeichermuseum in Stade und wünschte ebenfalls ein solches Modell, aber im Maßstab 1:25. Inzwischen - 1992 - war vom DSM der umfangreiche Zeichensatz von W. Lahn veröffentlicht worden, in dem Hunderte von Einzelteilen neben Linienrissen und Aufbauplan in allen Details akribisch abgebildet sind. Damit war eine noch genauere Rekonstruktion möglich. Das kleine Modell aus dem Museum Preußischer Kulturbesitz war inzwischen als Leihgabe an das Deutschordensmuseum in Bad Mergentheim gegeben worden und wurde von Berlin zurückverlangt.

In Bad Mergentheim wollte man jetzt ein eigenes Modell, auf mein Anraten hin im Maßstab 1:25. Inzwischen gab es weitere Veröffentlichungen, in Kiel und Bremen baute man die Kogge in Originalgröße 1:1 und ebenfalls in Kampen (Niederlande), wo mit der sogenannten "Kampener Kogge" wieder neue Erkenntnisse gesammelt werden konnten.

All dies wurde in das Modell für das Deutschordensmuseum mit eingebracht. Zusätzlich wurden in der Ostsee von den Unterwasserarchäologen in den letzten Jahren sehr viele Wrackteile gefunden, die man dem Typ Kogge zuordnet, so dass an ein Ende der Forschungsarbeiten keineswegs zu denken ist.

Abschließend soll erwähnt werden, dass bei der Entwicklung der Modelle stets besonderer Wert auf gesicherte Quellenlage aller Details gelegt wurde.

Der "Kiel" besteht aus einer breiten Bohle, die dicker als die anschließenden Bordplanken ist und sie ist gerade.


Die Beplankung besteht aus relativ breiten Plankengängen, die im Boden kraweel und von der Kimm aufwärts in Klinkerbauweise liegen.

Mit den Abmessungen der BREMER KOGGE wurden die Proportionen des Modells im wesentlichen festgelegt. Auch für das Achterkastell wurde das Konstruktionsprinzip des Bremer Fundes zugrunde gelegt und entsprechend dem Siegelbild von ELBING modifiziert.


Es wurde nicht, wie bei den älteren Rekonstruktionen, ein festes Deck modernerer Bauart gewählt, sondern das quergedielte vierbahnige Deck nach Bremer Vorbild.


Da sich im Original die Dielen an jeder beliebigen Stelle aufnehmen ließen, konnten feste Luken entfallen.

Vier Querbalken durchstoßen beiderseits die Bordwände. Die Außenhaut ist dem Vorbild ent- sprechend im Boden kraweel und seitlich klinker beplankt.


Das Siegelbild lässt zwar keine Spille erkennen, aber ein Frachtfahrzeug dieser Größenordnung konnte ohne diese Einrichtungen unmöglich gehandhabt und gefahren werden, wie es auch durch den Bremer Fund belegt wurde. Ein Bratspill steht hinter dem Mast und auf dem geräumigen Achterkastell das Gangspill.


Die Kastelle und ihre Brustwehren. wurden nach dem Siegelbild, unter Berücksichtigung der maßstabsgerechten Stehhöhe rekonstruiert.


Unter dem Achterkastell sind beiderseits geschlossene Unterkünfte, die durch Türen zugänglich sind. An ihrer Vorderseite befinden sich Schiebeluken. Zwischen den beiden Räumen ist offener Raum, der dem Rudergänger freie Sicht nach vorn gestattet, soweit dies möglich ist. Das Kastelldeck ist über zwei Leitern erreichbar. Seitlich und achtern ist das Kastell mit einer Zinnenartigen Brustwehr bekleidet, nach vorn jedoch offen, nur durch ein Geländer gesichert. Dies erscheint sinnvoll im Hinblick auf die Verwendung des Fahrzeuges als Frachtschiff und die Bedienung des Rahsegels. An der Steuerbordseite des Kastells ist eine kleine Partie des Decks offen und gibt den Blick auf das darunter liegende Klosett frei, wie beim Bremer Original.

Oberhalb des Decks befindet sich im Vorschiff der Betingsbalken, zum Belegen der Ankerkabel.

Die Bulinen und die Halstaue werden an einer Klampe belegt. Das Vorkastell wurde aufgrund neuer Erkenntnisse am Steven niedriger angesetzt, als es das Siegelbild erscheinen lässt und kommt damit der Wahrscheinlichkeit näher.

Die Wanten sind mit ihren Schlaufen oben über die Wantauflage des Mastes gelegt; unten sind die Wanten in Juffern eingebunden und mit Taljereeps an den 3 Wantklampen festgezurrt, die außen auf der Bordwand sitzen.

Wantklampen dieses Typs sind im Kalmarfund nachgewiesen und waren so angeordnet, wie die 3 Konstruktionselemente im Elbinger Siegelbild mittschiffs. Dass die Wanten des Siegelbildes nicht an diesen Punkten angreifen, ist ohne Bedeutung. Hier sind sie unsinniger Weise symmetrisch vor und hinter dem Mast angeordnet.

Die Wantklampen haben, wie die Juffern, ebenfalls je 3 Gatts.
Es gibt zwar ikonografische Belege dafür, dass im 14. Jahrhundert z.T. Wanten mit Webeleinen "ausgewebt" waren, da aber kein Koggensiegel dieses Merkmal aufweist, wurde auch bei diesem Modell darauf verzichtet.
Im Gegensatz zum Siegelbild wurde nur ein Vorstag angebracht, für ein zweites ist keine Funktion erkennbar. Möglicher Weise liegt hier eine Fehldeutung des Siegelstechers vor, Wäre die Kogge mit einem Segel dargestellt worden, dann könnte das zweite Tau eine Bulin sein. Man vergleiche auch die älteren Siegel von Wismar und Stralsund, bei denen die Wanten z. T. bis an die Vorsteven reichen.
Die Rah wird durch das Fall und ein Perlenrack (sog. Klotjes) am Mast gehalten. Ein hölzernes Bügelrack wäre ebenfalls authentisch.

Für Topnanten fehlen sichere Belege für diesen Zeitabschnitt, da jedoch auf verschiedenen zeitgenössischen Abbildungen Seeleute gezeigt werden, die beim Segelbergen rittlings auf der Rah sitzen, sind Topnanten in einfacher Ausführung wahrscheinlich, um damit die Rah im Gleichgewicht zu halten.
An die Rahnocken sind Blöcke gestroppt, durch die die Brassen zum Achterkastell laufen, wo sie belegt werden.

Das Segel ist mit Bändseln an der Rah angeschlagen. Die Webbreite der Segelbahnen wurde mit ca. 60 bis 68 cm angenommen. Das Segel ist mit einem Liektau eingeliekt, von der Mitte nach unten hat es zwei Bonnets und eine Reihe Reffbändsel. An den Schothörnern sind Blöcke gestroppt, durch die die Schot doppelt geführt und achtern auf dem Kastell belegt wird. Das Elbinger Siegel zeigt jeweils auf der vorderen und hinteren Hälfte der Bordwand klampenartige Konstruktionsdetails, die vermuten lassen, dass es sich hierbei um Leitklampen für die Hals- und Schottaue handelt. Archäologisch ist solche Leitklampe im Kalmarfund belegt.

Halsen sind im ikonografischen Material des 14. Jh. zwar nicht nachweisbar; sie waren aber bereits in der Wikingerzeit bekannt und sind für die optimale Führung und Ausnutzung des großen Rahsegels unabdingbar. Deshalb wurde diese Takelungsart gewählt und die o.g. Klampen des Siegelbildes erhalten damit praktische Bedeutung.
Das Unterliek des Rahsegels wird durch eine Mittelschot am Mast gehalten und das Vorliek des Segels wird mit einer Bulin nach vorn geführt, wo diese durch ein Gat des Sprietbaums läuft und dann an einer Klampe belegt wird.
Literarische Quellen bestätigen, dass man mit Koggen kreuzen konnte und in den letzten Jahren wurde mit originalgetreuen Nachbauten von Wikingerfahrzeugen durch systematische Versuche festgestellt, dass entgegen der bisherigen Lehrmeinungen diese Rahsegler sehr wohl ausgezeichnet kreuzen und hoch an den Wind gehen konnten. Auch Versuche mit dem Nachbau der Bremer Kogge, der sog. KIELER KOGGE bestätigen, dass bis zu einem gewissen Grad am Wind gesegelt werden konnte.
Wir dürfen deshalb unterstellen, dass die Koggen mit ihrem scharf gebauten Vor- und Achterschiff keineswegs schlechtere Segeleigenschaften gehabt haben dürften und deshalb sicher ein gut entwickeltes Rigg hatten.
Die beiden Anker wurden in Form und Größe bekannten Funden nachgestaltet. Die Farbgebung wurde weitgehend neutral gehalten, vorwiegend holzteerfarbig, lediglich im Unterwasserschiff dunkler.
Das Mauerdekor an den Kastellwänden, wie es auf dem Siegelbild dargestellt ist, wurde an dem Modell nicht übernommen, da es für eine derart dekorative Bemalung keine Beweise gibt. Wahrscheinlich war dies eine Vorstellung des Siegelstechers, in dem er die zinnenartigen Auf bauten mit einer Burg verglich.
Das Kreuz auf dem Masttop, das den friedlichen Kauffahrer signalisiert, wurde vergoldet, was historisch allerdings nicht nachweisbar ist. Es entspricht als christliches Symbol dem Zeitgeschmack. Da das Modell einen typischen Kauffahrer der Hansezeit darstellen soll, wurde bewusst auf grelle Farbgebung verzichtet.

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