Aktualisiert 23.12.2021

GORCH FOCK I in Stralsund

Text und Fotos: Klaus Lingenauber

Bugansicht 2019

Am 25. Juli 1932 sank das Segelschulschiff NIOBE in einer plötzlichen Gewitterbö im Fehmarnbelt. Dabei kam fast ein kompletter Offiziersjahrgang – insgesamt 69 Männer – ums Leben. Durch dieses tragische Unglück benötigte die damalige Reichsmarine dringend ein Ersatzschiff. Denn von Beginn an, mit der Korvette AMAZONE 1843, war die Offiziersausbildung der deutschen Marinen auf Segelschiffen üblich. Die mit der Jackass-Bark NIOBE gemachten Fehler sollten bei einem Neubau nicht wiederholt werden. Daher wurden unter anderen Bedingungen höchste Sicherheitsstandards an das Nachfolgeschiff gefordert. Die Bauausschreibung durch die Marineleitung erfolgte bereits im Herbst 1932 unter dem Namen »Projekt 1115 Ersatz NIOBE« und ging an fünf deutsche Werften. Blohm & Voss in Hamburg konnte aufgrund der einschlägigen Erfahrungen im Bau solcher Schiff überzeugen und erhielt am 02.12.1932 den Bauauftrag für eine Bark.

Zustand 2019

Die Reichsmarine drängte auf eine Ablieferung des neuen Schulschiffes bis zum 01.07.1933 um den kommenden Offiziersjahrgang bereits darauf ausbilden zu können. In der Rekordzeit von 100 Tagen gelang Blohm & Voss die Fertigstellung des neuen Schiffes. Knapp ein Viertel der Baukosten kamen über Spenden zusammen da die Marine über kein Budget für diese außerplanmäßige Ausgabe verfügte. Das Schiff wurde nach dem Finkenwerder Dichter und Mariner Johann Wilhelm Kienau, genannt »Gorch Fock«, benannt. Die Bark ist nach Plänen des Konstrukteurs Wilhelm Süchting gebaut. Süchting war Spezialist für den Bau von Großseglern. Die GORCH FOCK trägt die Baunummer 495.

GORCH FOCK I 2019

Die GORCH FOCK führte bis zum Zweiten Weltkrieg Trainingsfahrten für Seekadetten und Unteroffiziersanwärter durch. Das Schiff stand unter dem Kommando der »Inspektion für das Bildungswesen der Kriegsmarine«, wie die Einrichtung seit dem 02.05.1935 hieß. Durch die immer größer werdende Isolation des Dritten Reiches besuchte das Schiff nur selten ausländische Häfen. Es blieb überwiegend in den Gewässern der Nord- und Ostsee.

Bugzier mit Krulle

Mit Kriegsbeginn fand das Schiff als Büro- und Schulschiff Verwendung in Kiel. 1944 wurde die GORCH FOCK nach Rügen geschleppt wo sie als Schulschiff wieder offiziell in den Dienst der Flotte genommen wurde. Ende April 1945 verholte die Bark von ihrem Winterliegeplatz in Stralsund und wurde am 01.05.1945 westlich der Halbinsel Drigge von einem Pionierkommando des Heeres versenkt. Das Schiff sollte nicht in die Hände der Roten Armee fallen.

Portraet des Vorsitzenden der KPdSU

Als 1947 das Wrack auf Anweisung der sowjetischen Besatzungsmacht gehoben wurde, dauerten die Instandsetzungsarbeiten auf Werften in Stralsund, Wismar und Rostock mehr als drei Jahre. Unter dem neuen Namen TOVARISCHTSCH (»Genosse«) diente der Segler seit dem 15.06.1951 wieder seinem ursprünglichen Zweck: Der Ausbildung von Seekadetten. Nun denen der Handelsmarine der Sowjetunion. Die TOVARISCHTSCH war lange Jahre auf internationalen Großseglerregatten erfolgreich vertreten. Das Ende der UdSSR brachte dann aber einen steten Verfall des Schiffes mit sich. Eine dringende Reparatur in Newcastle konnte aus Geldmangel 1995 nicht ausgeführt werden.

Focksaling

Nach einer ausführlichen technischen Inspektion erwarb am 09.09.2003 der Verein »Tall-Ship-Friends e.V.« die Bark von der Ukraine und gab ihr wieder ihren alten Namen zurück. Sie liegt seitdem zur Besichtigung in Stralsund, unweit der Untergangsstelle. Die GORCH FOCK I wird überwiegend von freiwilligen Helfern gepflegt. Die Restaurierungsarbeiten halten an, es fehlen Geld und Fachkräfte ohne die der Erhalt sehr mühsam läuft. Umso größer ist die Leistung derer zu schätzen, die unter den schwierigen Umständen um den Erhalt der GORCH FOCK I kämpfen. Die Fotos vom Schiff sind 2019 anlässlich der JHV unseres Arbeitskreises in Stralsund entstanden
(https://www.arbeitskreis-historischer-schiffbau.de/termine/tagungen/jhv2019/)

Bugspriet mit Finknetz

GORCH FOCK I: Technische Daten:
Länge über alles. 82,10 Meter
Breite: 12,00 Meter
Tiefgang: 4,90 Meter
Vermessung: 1330 BRT
Höhe Großmast über Deck: 41,30 Meter
Anzahl der Segel: 23
Segelfläche: 1.797 Quadratmeter
Motorleistung: 520 PS
Geplante Besatzung bei Indienststellung: 67 Stamm / 198 Kadetten

Heckzier

Als Anschlussaufträge folgten der GORCH FOCK übrigens noch weitere Segelschiffsbauten bei Blohm & Voss. Die Schwesterschiffe HORST WESSEL und ALBERT LEO SCHLAGETER wurden nach modifizierten Plänen gebaut und 1936 und 38 in Dienst gestellt. 1939 folgte die MIRCEA für die rumänische Marine. Alle genannten Schiffe sind heute noch aktiv: Die ex HORST WESSEL als EAGLE in der US-Küstenwache und die ex ALBERT LEO SCHLAGETER ex GUANABARA als SAGRES in der portugisischen Marine. Die MIRCEA wird weiterhin von der rumänischen Marine gefahren.

Die letzte geplante Bark dieser Klasse, HERBERT NORKUS, konnte kriegsbedingt nicht mehr fertiggestellt werden.

Blick vom Huettendeck

Die Geschichte wäre nicht rund, wenn die aktuelle GORCH FOCK nicht erwähnt wäre: 1957 ergab sich mit dem schrecklichen Untergang des Segelschulschiffes PAMIR mit 80 Todesopfern und dem Fast-Untergang der PASSAT eine ähnliche Situation wie 1932 nach dem Untergang der NIOBE (https://www.arbeitskreis-historischer-schiffbau.de/mitglieder/ontour/rettungsboot-pamir/).

Es entbrannten kontroversen Diskussionen über die Sinnhaftigkeit von Segelschulschiffen in modernen Zeiten. Diese Diskussionen wurden zu allen Zeiten geführt und kamen – wieder einmal – auch in den 1950er Jahren zum Schluß, dass eine Segelschiffsausbildung durch nichts »modernes« zu ersetzten sei.

Reserveanker und weisse Ankerketten

Wieder bekam Blohm & Voss den Aufrag, nach der bewährten GOCH FOCK-Klasse der 1930er Jahre einen Neubau zu schaffen. Dieser richtete sich im Wesentlichen nach den Plänen der etwas größeren ALBERT LEO SCHLAGETER und trägt die Baunummer 804. Die Kiellegung fand am 24.02.1958 statt, das fertige Schiff wurde am 11.12. desselben Jahres an die Besatzung übergeben und am 17.12.1958 in Dienst gestellt. Es trägt seit seiner Taufe am 24.08.1958 wieder den Namen GORCH FOCK. Gekostet hat das Schiff damals 7,85 Millionen DM.

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